Im 19. Jahrhundert wuchsen Barmen und Elberfeld zu einem der
größten deutschen Industriezentren zusammen, ehe beide Städte auch
rechtlich zu Wuppertal vereinigt wurden. Vor allem mit der
Herstellung und dem Handel von Textilien gelangten viele
einheimische Unternehmer zu großem Wohlstand. Die
Kunstinteressierten unter ihnen legten bedeutende Kunstsammlungen
an, aus denen viele Werke im Laufe der Jahrzehnte dem heutigen Von
der Heydt-Museum gestiftet wurden. An erster Stelle ist hier die
Bankiersfamilie von der Heydt zu nennen,
der das Museum auch seinen Namen verdankt, hinzu kommen aber auch
viele weitere Persönlichkeiten.
In diesem Jahr hat das Museum in einer Sonderausstellung eine
Reihe bedeutender Privatsammlungen von Wuppertalern vorgestellt.
Unter dem Titel "Der expressionistische Impuls" lag der
Schwerpunkt der Exponate auf Werken des frühen 20. Jahrhunderts.
Am 7. Mai 2008 haben wir die Ausstellung mit einer Gruppe besucht.
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Bankier August Freiherr von der Heydt (1851-1929) und sein Sohn
Eduard Freiherr von der Heydt (1882-1964) stifteten dem hiesigen
Museum rund 300 Exponate. Der Vater sammelte zunächst Werke aus
dem Mittelalter und von alten Niederländern aus dem 17.
Jahrhundert sowie Bilder der "Düsseldorfer Malerschule". Etwa ab
1900 wuchs sein Interesse für zeitgenössische Maler, von denen er
Bilder in Paris erwarb (z. B. Picasso, Matisse, Vlaminck, Braque).
Zu einem weiteren Schwerpunkt seiner Sammlung wurden Werke der
Künstlergruppen "Blauer Reiter" und "Brücke", die im Zentrum der
jetzigen Sonderausstellung standen. Eduard von der Heydt
erweiterte das väterliche Erbe u. a. auch um Kunstwerke aus
außereuropäischen Kulturkreisen (z. B. asiatische Plastiken,
afrikanische und ozeanische Holzfiguren, die heute in Zürich
ausgestellt sind). Seit 1930 lebte er dauerhaft in der Schweiz.
Von dem Elberfelder Unternehmer Julius Schmits (1855-1916) bzw.
aus seinem Erbe wurden dem Elberfelder Museum rund 15 Bilder
verschiedener Künstler gestiftet, die aber zeitlich noch vor der
Schaffenszeit der Expressionisten einzuordnen sind (z. B. Sisley,
Monet und Cézanne).
Werke französischer Maler gehörten auch zur Sammlung des Barmer
Wollhändlers Gottlieb Friedrich Reber (1880-1959), der später in
der Schweiz lebte. Reber besaß u. a. 25 Gemälde Cézannes.
Der Barmer Textilfabrikant Carl Ferdinand Holzrichter (1872-1965)
war im Barmer Kunstverein aktiv und erwarb u. a. Gemälde von Marc
und Jawlensky.
Auch der Klavierfabrikant Rudolf Ibach (1873-1940) stammte aus
Barmen. Er besaß u. a. Gemälde von Kandinsky, Schmidt-Rottluff,
Meidner und Klee. Werke aus Ibachs Sammlung sind heute auch in
bedeutenden auswärtigen Museen im In- und Ausland zu sehen.
Carl Neumann (1896-1966), ein Barmer Textilunternehmer, erwarb
zunächst mittelalterliche Kunstwerke, ehe er Bilder von Manet, van
Gogh, Marc und anderen Malern in seine Sammlung aufnahm. Der
größte Teil dieser Sammlung verbrannte in Neumanns Wohnhaus beim
Barmer Angriff im Mai 1943.
Der Elberfelder Fabrikant Klaus Gebhard (1896-1976) leitete viele
Jahre die gleichnamige Seidenweberei in Vohwinkel. Als
Kunstsammler konzentrierte er sich auf Werke der Expressionisten,
insbesondere "Brücke"-Künstler wie Heckel und Kirchner. Gebhard
erwarb nach 1945 auch viele Werke der zeitgenössischen Moderne bis
hin zur amerikanischen Pop-Art.
Der schon früh verstorbene Elberfelder Juwelier Karl Krall jun.
(1893-1938) war mit dem Maler Otto Dix befreundet, der ein Bildnis
von ihm schuf. Außerdem besaß Krall einige Landschaftsbilder von
Heckel.
Der Barmer Textilfabrikant Ferdinand Ziersch (1907-1967) besaß
eine bedeutende Kunstsammlung mit Werken des 20. Jahrhunderts, in
der zahlreiche Künstler vertreten sind (u. a. Beckmann, Chagall,
Feininger, Heckel, Jawlensky und Kandinsky). Ziersch erwarb von
Kirchner eine ganze Anzahl Bilder.
Rolf Frowein (1903-1991), Teilhaber der gleichnamigen Textilfirma,
und seine Frau Lotte Frowein-Saffran (1903-1988) begannen etwa
1949 mit dem Aufbau einer eigenen Kunstsammlung, die auf die
klassische Moderne ausgerichtet war (u. a. Werke von Kirchner,
Campendonk, jawlensky, Marc und Modersohn-Becker).
Der Mediziner Prof. Dr. Karl Julius Anselmino (1900-1978) war fast
30 Jahre lang Chefarzt der Rheinischen Landesfrauenklinik, die er
bis zur Pensionierung leitete. Er besaß u. a. Werke von Picasso,
Kandinsky, Klee und Mondrian. Später kamen Bilder von Feininger,
Kirchner, Beckmann und anderen Künstlern hinzu. Einen Schwerpunkt
bildeten die Arbeiten von Paul Klee.
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Der Seidenfabrikant Willy Schniewind (1890-1978) und vor allem
seine kunstbegeisterte Frau Stephanie, genannt Fänn (1898-1980)
schufen eine reichhaltige Kunstsammlung mit sehr breitem Spektrum.
Dazu gehörten u. a. Werke von Nolde, Beckmann, Rohlfs, Kirchner,
Jawlensky und Dix, um nur diejenigen Künstler zu erwähnen, die für
die jetzige Sonderausstellung von besonderem Interesse waren. Das
Ehepaar Schniewind pflegte auch
viele private Kontakte zu Künstlern und ließ sich mehrmals
porträtieren.
Die Ausstellung beschränkte sich nicht ganz streng auf die Werke
der Expressionisten, sondern bezog auch die früh verstorbene
Worpsweder Malerin Paula Modersohn-Becker ein, deren Bilder in
mehreren Wuppertaler Privatsammlungen hingen. Allein August von
der Heydt besaß 28 Gemälde von ihr.
Im Jahre 1905 schlossen sich in Dresden die Maler Ernst Ludwig
Kirchner, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff zur
Künstlergemeinschaft "Die Brücke" zusammen. Im folgenden Jahr
schloss sich Max Pechstein der Gruppe an, 1910 trat Otto Mueller
bei. Emil Nolde gehörte der Gemeinschaft nur für kurze Zeit (1906)
an. 191 3 löste sich die Gemeinschaft wieder auf. Werke der
"Brücke"-Künstler wurden in den Jahren 1911-14 in Elberfeld und
Barmen bei mehreren Ausstellungen gezeigt und von verschiedenen
hiesigen Sammlern gekauft.
Die 1909 gegründete "Neue Künstlervereinigung München" (NKVM), zu
der u. a. Wassily Kandinsky, Gabriele Munter, Alexej von Jawlensky
und Adolf Erbslöh zählten, stellte 1910/11 im Elberfelder Museum
und in der Barmer Ruhmeshalle (Barmer Kunstverein) Bilder der
Münchner Expressionisten aus, von denen Wuppertaler Sammler einige
Werke kauften. Eine wichtige Rolle als Vermittler spielte der
Kunsthistoriker Dr. Richart Reiche (1876-1943), der von 1907 bis
1929 den Barmer Kunstverein leitete und bei vielen Mitgliedern das
Interesse für die Gegenwartskunst weckte.
Ende 1911 traten Kandinsky und Munter aus der NKVM aus und
eröffneten eine eigene Ausstellung. Der neuen Gruppe, die sich
"Der Blaue Reiter" (nach einem Bild Kandinskys) nannte, traten
auch Franz Marc, August Macke, Paul Klee und Heinrich Campendonk
bei.
In der Wuppertaler Ausstellung sahen wir Bilder von 20 Künstlern
aus der Zeit des Expressionismus, von denen manches Werk sich auch
heute noch in Privatbesitz befindet. Außerdem waren einige Werke
französischer Maler in die Ausstellung einbezogen, weil auch sie
aus den genannten Wuppertaler Privatsammlungen stammten und
zumeist dem Museum gestiftet worden waren.
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